23.08.2018 | TOP NEWS, Domestikationsgenomik

Erbgut des Weizens vollständig kartiert

Weizen ist für mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung das Grundnahrungsmittel (Bild: Isabelle Caugant, IWGSC Picture Library).

Weizen ist das Grundnahrungsmittel für mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung (Bild: Isabelle Caugant, IWGSC Picture Library).

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Basierend auf einer Medienmitteilung des Helmholtz Zentrums München und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben

Eine dreizehnjährige wissenschaftliche Kraftanstrengung findet ihren Höhepunkt in einer Science-Publikation: Über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 73 Forschungseinrichtungen in 20 Ländern haben gemeinsam das Genom des Brotweizen kartiert. Federführend daran beteiligt war auch iDiv-Mitglied Martin Mascher vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben. Durch die Erkenntnisse erhoffen sich die Beteiligten neue Perspektiven für die Welternährung. Bei der in Science publizierten Sequenz handelt es sich um das erstmals weitestgehend vollständige Referenzgenom von Weizen – eine gemeinsame Grundlage für alle, die den Weizen verstehen, erforschen oder verbessern wollen.

„Die vollständige Sequenzierung des Genoms von Brotweizen wurde lange Zeit für unmöglich gehalten, da es enorm groß und komplex ist“, verdeutlicht Dr. Nils Stein, Leiter der Arbeitsgruppe Genomik Genetischer Ressourcen am IPK in Gatersleben, die Herausforderung. „Das Fünffache des menschlichen Genoms verteilt sich nochmal auf drei Subgenome und organisiert sich über 21 Chromosomen mit zahlreichen sich wiederholenden Elementen.“

Da auch modernste Technologien die Basenabfolge des Erbguts nicht im Ganzen entschlüsseln können, standen den Forschern immer nur Fragmente des Genoms zur Verfügung. Entsprechend schwierig war es, den korrekten Zusammenbau dieser Teilsequenzen nachzuvollziehen. Hierfür entwickelten die Wissenschaftler spezielle Algorithmen und neue Strategien, um diesen sprichwörtlichen ‚Big Data‘ Herr zu werden.

„Nachdem die finale Sequenz bekannt war, ging es an die Inhalte“, erklärt Dr. Manuel Spannagl, Gruppenleiter in der Abteilung Genomik und Systembiologie pflanzlicher Genome am Helmholtz Zentrum München. „Unsere Aufgabe war es, aus den Milliarden von Basen herauszulesen, welche Gene wo liegen und wie sie organisiert sind: 107.891 Gene konnten wir kartieren*. Hinzu kamen mehr als vier Millionen molekulare Marker sowie Sequenzinformationen über die Bereiche dazwischen, die die Aktivität der einzelnen Gene beeinflussen.“ iDiv-Mitglied Martin Mascher vom IPK Gaterleben hat, gemeinsam mit internationalen Partnern, die Gensequenzen gesamter Chromosomen des Brotweizens vom Anfang bis zum Ende zusammengefügt. „Das war eine große Herausforderung“, sagt Mascher, „denn das Weizengenom ist fünfmal größer als das menschliche Genom und voller repetitiver Elemente“. Dank des Einsatzes moderner Computermethoden – so genannter Assembler-Programme – konnten die Forscher dieses Problem aber letztlich lösen. Ihre Resultate werden sowohl der Wissenschaft als auch der Industrie zugutekommen, sagt Mascher: „Die Genomreferenz des Weizens wird ein unschätzbares Instrument für Wissenschaftler und Züchter sein. Diese können nun einfach nach bestimmten Genen, die sie interessieren, in einer Onlinedatenbank suchen. Dadurch wird es möglich sein, unser Getreide schneller zu verbessern, was angesichts aktueller Umweltveränderungen einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten kann“. Nun hoffen alle beteiligten Forscherinnen und Forscher, die sich unter dem Dach des International Wheat Genome Sequencing Consortium (IWGSC) versammelt haben, dass durch ihre Arbeit neue Weizensorten gezüchtet werden können, die besser an klimatische Herausforderungen angepasst sind, höhere und vor allem stabilere Erträge liefern sowie höhere Nährstoffqualitäten aufweisen. Zudem sollen der Anbau und die Verwertung des Weizens nachhaltiger werden. Denn Weizen ist und bleibt eine Schlüsselpflanze für die weltweite Ernährungssicherung: Er stellt das Grundnahrungsmittel von mehr als einem Drittel der Weltbevölkerung dar und macht fast 20 Prozent der Kohlenhydrate und Eiweiße in unserer Nahrung aus – mehr als jedes andere Nahrungsmittel.

Sechs weitere Veröffentlichungen begleiten die Publikation der vollständigen Weizen-Referenzsequenz und unterstreichen deren Nutzen für die wissenschaftliche Gemeinschaft. Seit der Bereitstellung einer ersten Arbeitsversion der heute veröffentlichten vollständigen Sequenz im Januar 2017, wurden über 100 Forschungsarbeiten mit diesen vorläufigen Daten veröffentlicht. Diese Zahl wird ab heute rasant wachsen.

Doch die Arbeit ist nach Aussage der deutschen Wissenschaftler noch nicht getan: Die in der aktuellen Studie vollständig sequenzierte und annotierte Weizensorte ‚Chinese Spring‘, wurde bisher weltweit vor allem in der Grundlagenforschung genutzt. Weitere landwirtschaftlich genutzte Linien, deren Erbgut insgesamt als Pan-Genom bezeichnet wird und die genetische Vielfalt des Brotweizens charakterisiert, werden bereits intensiv bearbeitet.**

Weitere Informationen

* Zum Vergleich: Beim Menschen sind aktuell 20.376 Gene bekannt

** Im vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekt WHEATSEQ (Förderkennzeichen: 2819104015) arbeiten Münchner und Gaterslebener Forscher an der Sequenzierung der Weizensorte ‚Julius‘. Die Arbeiten sind Bestandteil des internationalen „10 Weizengenomprojekt“ einem assoziierten Programm der Internationalen Weizen Initiative. Das Programm wird einen hochauflösenden Einblick in das Ausmaß der strukturellen Vielfalt und die Komplexität des Pan-Genoms von Weizen liefern und für eine gezieltere Züchtung nutzbar machen.

Hintergrund Weizen stellt das Grundnahrungsmittel von mehr als einem Drittel der Weltbevölkerung dar. Zudem dient er als eine wichtige Quelle von Vitaminen und Mineralien. Um den zukünftigen Anforderungen einer prognostizierten Weltbevölkerung von 9,6 Milliarden Menschen (bis 2050) gerecht zu werden, muss die Weizenproduktivität jedes Jahr um 1,6 Prozent steigen, so das IWGSC in seiner Mitteilung „The wheat code is finally cracked“. Um die Artenvielfalt, die Wasser- und Nährstoffressourcen zu erhalten, müsse der Großteil dieses Anstiegs durch eine Verbesserung der Kulturpflanzen selbst und deren Eigenschaften auf den derzeit kultivierten Flächen erzielt werden, anstatt neue Flächen für den Anbau zu verbrauchen. Originalpublikation International Wheat Genome Sequencing Consortium (2018): Shifting the limits in wheat research and breeding using a fully annotated reference genome. Science, DOI: 10.1126/science.aar7191Medienmitteilung des Helmholtz Zentrums München und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben:https://idw-online.de/de/news700649 AnsprechpartnerDr. Martin Mascher
Leiter der Arbeitsgruppe Domestikationsgenomik
Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
Web: http://www.ipk-gatersleben.de/unabhaengige-arbeitsgruppen/domestikationsgenomik/
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